Rendezvous mit den Eisbären in Churchill
Kanada hat mehr zu bieten als grandiose Wintersportgebiete. Ein besonderes Reiseziel ist Churchill im Norden der Provinz Manitoba. Im Frühwinter tummeln sich in der „Welthauptstadt der Eisbären“ die Könige der Arktis – nicht immer ohne Zwischenfälle.
„Schaut links und rechts nach Autos, bevor ihr über die Straße lauft“, warnt man hierzulande die Kinder. Im kanadischen Churchill hören die Kleinen: „Erstmal rausschauen, ob ein Eisbär vor der Haustüre steht!“ Gerade wenn der Herbst in den Winter übergeht, macht die selbst ernannte “Welthauptstadt der Eisbären“ ihrem Namen alle Ehre. Meeresströmungen und das aus dem Churchill-River einfließende Süßwasser lassen die Hudson Bay hier früher zufrieren als anderswo. Hunderte Eisbären warten deshalb in Churchill darauf, dass sich die Eisdecke schließt und den Weg zur Robbenjagd frei macht. „Da kann sich durchaus auch mal ein ausgehungerter Eisbär auf der Suche nach Fressbarem zwischen den Häusern herumtreiben“, gibt Andrew Szklaruk zu. Im Jahr 2014 gab es insgesamt 202 “Polar Bear District Occurrence Reports”, das heißt Begegnungen zwischen Conservation Officers und Eisbären.
Eisbären in Churchill: Nichts ungewöhnliches
Der Mann mit dem rötlichen Vollbart ist Officer bei der „Bären-Patrouille“. Von sieben Uhr morgens bis abends zehn Uhr fährt er in dem 1000-Seelen-Kaff am Rande der Arktis Streife. Auch an Blizzard-Tagen wie heute. Waagerecht fegt der eisige Wind den Schnee über die karge Tundra rings um Churchill, das im Dämmerlicht versinkt. Minus 15 Grad zeigt das Thermometer. Pro Jahr erwischen sie Dutzende Eisbären im Ort oder in gefährlicher Nähe der Hafenstadt. Fast immer geht die Begegnung von Mensch und Bär glimpflich aus – und zwar für beide.
Angriff mit Folgen im vergangenen Jahr
Selten kommt es jedoch zu schwerwiegenderen Zwischenfällen − wie im Jahr 2013. Ende Oktober wurde eine 30-Jährige Frau am frühen Morgen angegriffen und am Hinterkopf und Ohr gebissen. Ein 69-Jähriger Mann verließ gerade sein Haus und hörte die Schreie. Als er versuchte den Bären abzulenken, wurde er selbst zum Opfer und ein Ranger musste zur Hilfe kommen. Beide wurden in Krankenhaus gebracht, erlitten jedoch keine schweren Verletzungen. Für den Bären endete die Begegnung mit tödlichen Schüssen. Der Angriff war nicht der einzige Zwischenfall im vergangenen Jahr. Im September wurde der in Churchill lebende Garett Kolsun ebenfalls angegriffen und leicht verletzt. Gerade um diese Jahreszeit sind die Eisbären aggressiver. Die Tiere sind hungrig und warten, dass sich die Eisdecke der Hudson Bay schließt und die Jagd beginnen kann. In den letzten Jahren hat sich der Zeitpunkt durch die globale Erderwärmung nach hinten geschoben und die Bären müssen länger auf ihre Jagd warten.
Die tödlichen Schüsse auf die beiden Bären nach dem Angriff im vergangenen Jahr waren eine Ausnahme. Auch wenn der Officer stets mit dem Gewehr im Anschlag unterwegs ist, scharf geschossen wird nur im absoluten Notfall. Das war nicht immer so. Als die Gegend von Churchill in den 50er und 60er Jahren noch als Panzer-Übungsplatz genutzt wurde, waren die Eisbären nur lästig und wurden einfach abgeknallt. Heute sind sie die große Touristenattraktion in Churchill, wo man sich ansonsten nur noch in klaren Winternächten das Nordlicht Aurora kborealis und im Sommer Beluga-Wale anschauen kann. Die bärigen Eindringlinge aus dem Außenposten menschlicher Zivilisation, werden mit einer Polizeisirene und Knallkörpern von Andrew und seine Kollegen verjagt. Ist der Bär dennoch nicht zum Rückzug zu bewegen, wird er mit Betäubungsmunition außer Gefecht gesetzt. Ein Schuss und die rund 600 Kilogramm schweren und bis zu 2,60 Meter langen Kolosse schlummern friedlich.
Ab in den Eisbären-Knast
Wenn Sie im „Eisbären-Gefängnis“ von Churchill aufwachen, sind sie bereits für die Statistiken der Wissenschaftler untersucht, vermessen und markiert. In dieser Saison mussten insgesamt 52 Eisbären in den Knast. Dort haben sie um die Einzelgänger voreinander zu schützen, jeweils eine „Einzelzelle“. Nur Muttertiere mit ihren Jungen werden zusammen gehalten. Nach wenigen Tagen werden die Eisbären erneut betäubt und per Hubschrauber rund zweihundert Kilometer weit nach Norden geflogen. Einige laufen dennoch den ganzen Weg zurück nach Churchill, das seinen Namen einem Vorfahren des legendären britischen Premier Winston Churchill verdankt. John Churchill ließ als Chef der florierenden Pelzhandelsgesellschaft Hudson’s Bay Company an diesem unwirtlichen Ort 1717 ein Fort erbauen.
Wo einst schwere Kanonen ungebetene Gäste empfingen, haben Andrew und seine Kollegen heute Bären-Fallen aufgestellt. „Die meisten Tiere sind schlau: Wer einmal in die Falle gegangen ist, meidet die Stadt in Zukunft“, berichtet Ranger Sheldon Olivie. Seitdem die Fallen eingesetzt werden, sind die Zwischenfälle mit Eisbären tatsächlich deutlich zurückgegangen. Früher hätten sie fünfmal so viele Bären vorübergehend einlochen müssen.
Eisbärenpopulation schmilzt mit dem Eis
Offensichtlich funktioniert die Strategie mit den Fallen, aber natürlich ist auch die Zahl der Bären zurückgegangen. Wegen der globalen Erderwärmung schmilzt ihnen förmlich das lebenswichtige Eis unter den Pfoten weg. Die Hudson Bay friert im Herbst später zu und taut im Frühjahr früher auf. Die Konsequenzen für die Bären sind fatal: Jede Woche weniger Eis, kostet ihnen zehn Pfund Gewicht. Dadurch werden sie schwach und krank, ältere Tiere verhungern. Laut Environment Canada ist die Eisbären-Population zwischen 1984 und 2004 stark gesunken, blieb jedoch in den vergangenen zehn Jahren relativ konstant. Aktuell wird die Eisbären-Population auf 1030 Bären geschätzt.
Immer früher bricht das Eis im Frühjahr auf. Trägt es sie nicht mehr, schwimmen die Bären über mehr als hundert Kilometer zurück ans Festland. Je wärmer es wird, umso schwerer wird das Überleben für die Eisbären. „Wenn wir jetzt nichts gegen die Erderwärmung tun und den Co2-Ausstoß senken, werden unsere Kinder hier keine Eisbären mehr sehen“, mahnt der Mitgründer und langjährige Präsident von „Polar Bears International“ (PBI), Robert Buchanan, immer wieder.
Schicksalhafte Begegnungen?
Ist er während der Bärensaison in Churchill, sitzt er wie alle Touristen und Einheimischen allabendlich beim Bier in der Bar des Seeport-Hotels. Das Paradoxum des florierenden Eisbären-Tourismus ist ihm durchaus bewusst. „Wer von Europa hierher fliegt, verursacht natürlich Co-2-Ausstoß“, räumt Buchanan ein. „Aber meine Hoffnung ist, dass die Leute nach der Begegnung mit diesen prächtigen Tieren zu Hause ihr Verhalten und das ihres Umfelds verändern“, sagt Buchanan.
Seine Rechnung könnte aufgehen. Am nächsten Tag hat sich der Sturm gelegt. Die Touristengruppen, die am Vortag aus der rund 1000 Kilometer südlich gelegenen Provinz-Hauptstadt Winnipeg eingeflogen sind, brechen frühmorgens um sieben auf. Einige waren noch schnell zum Frühstück bei den portugiesischen Auswanderern Toni und Hellen Da Silva im Gipsys, wo sich morgens all die wieder treffen, die am Abend zuvor in der Bar des Seeport-Hotels saßen. Dann geht’s per Bus in die Tundra. Dort warten die sogenannten Tundra-Buggies, schwere Allradfahrzeuge, aus denen man gefahrlos Bären beobachten kann.
Auge in Auge mit den Königen der Arktis
Schon nach wenigen Minuten Fahrt kreuzen die ersten unseren Weg. Anfangs fotografieren alle wie wild. Nach dem zehnten Eisbären, kehrt langsam Ruhe im Buggy ein. Immer mehr beobachten einfach nur noch fasziniert. Vor allem die Bärenmutter mit zwei Jungen, bei deren Anblick man unweigerlich an den berühmten Knut denken muss. „Von dem haben wir sogar bis hierher gehört“, erzählt Tour-Guide Tara Ryan. Dann zeigt die Biologin zum Horizont, wo sich ein seltenes Schauspiel anbahnt: Zwei Eisbären üben sich im spielerischen Kampf. Mal sieht es nach brutalem Ringen, mal nach Paartanz zweier Verliebter aus.
Dann nähert sich ein Bär bis auf einen halben Meter. „Manchmal stellen sie sich sogar auf die Hinterpfoten und lehnen sich an den Tundra Buggy“, erzählt Tara. Auge in Auge mit dem König der Arktis ‒ die Gäste sind überwältigt. Viele Bären sind neugierig, andere treibt einfach der Hunger. Die Menschen in den Buggies müssen ihnen wie „Essen auf Rädern“ vorkommen.
Wer zwei Tage in der Tundra verbringt hat gute Chancen 20 und mehr Eisbären rund um Churchill zu sehen. Dort dreht sich im Frühwinter alles um die Eisbären. Sogar an Halloween. Da empfahl die Lokalzeitung „Hudson Bay Post“ allen Einwohnern der Bären-Hauptstadt: „Verkleidet Euch nie als Eisbär. Denn wehe Andrew und seine Kollegen von der Bären-Patrouille verwechseln Euch mit einem echten Bären!
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