Eine Skitour durch Südnorwegen
Unendliche Weiten und Wildnis pur gibt es nicht nur beim Heliskiing in Kanada oder Alaska. Die Hochebene in Südnorwegen zählt zu den aufregendsten Naturräumen Europas. Eine Skiwanderung im hohen Norden, das etwas andere Wintererlebnis.
Schon wieder dichter Nebel und wieder kein Anzeichen für besseres Wetter an diesem Morgen in Hovatn. Es ist kurz nach sieben und die ersten Schritte durch den meterhohen Schnee sind einem ganz natürlichen Impuls geschuldet: dem Gang zum Plumpsklo. Verrichteter Dinge schweift der Blick über die Landschaft, besser gesagt über das, was von ihr zu sehen ist. Unterhalb der Hütte ist laut Karte ein großer See, im Moment ist dieser jedoch nur zu erahnen – wahrlich nicht die besten Bedingungen für eine Skiwanderung, doch darauf hat man keinen Einfluss. Es ist bereits der vierte Tag hier draußen im südlichen Norwegen nahe Stavanger und wie jeden Morgen fällt es zunächst schwer, sich für die Tagesetappe von etwa 20 Kilometern zu motivieren.
Backcountry-Skitour in Südnorwegen: gute Laune trotz schlechter Sicht
Ein energiereiches Frühstück ändert dies schlagartig. Haferporridge ist zur Lieblingsspeise der zwölfköpfigen Gruppe geworden, dazu gibt es Honig und Kakao. „Es ist fast unmöglich euer Energiedefizit zu decken, deshalb esst wirklich soviel ihr könnt“, mahnt Gruppenleiterin Mirjam. Sie hat recht! Die vergangenen Tage haben gezeigt wie schnell der Hungerast kommt, dann gilt es Kohlenhydrate in Form von Müsliriegeln, Schokolade oder Schwarzbrot zuzuführen. Die großen Nahrungsmengen machen den wesentlichen Teil des Gepäcks aus. Jeder der zwölf Teilnehmer trägt zwischen 15 und 25 Kilo auf dem Rücken. Mit jeder Mahlzeit wird es weniger – ein schöner Nebeneffekt beim Essen.
„Man stumpft zunehmend ab“, da ist sich die Gruppe einig. Am ersten Tag schmerzten wegen des schweren Rucksacks Nacken und Schultern noch sehr, inzwischen sind die kleinen Wehwehchen beinahe verflogen. Auch das Wetter ist längst kein Stimmungskiller mehr. „Wenigstens kein Schneesturm“, heißt es, „die Sonne kommt schon noch!“
Kein Handyempfang im abgeschiedenen Norwegen
Die multimediale Abgeschiedenheit ist für viele hier draußen wahrscheinlich die wertvollste Erkenntnis. Der Blick auf das Mobiltelefon ist nutzlos – es gibt sowieso nirgends Empfang. Das einzige Backup ist ein Satellitentelefon. Im Notfall kann nur ein Helikopter Rettung bringen oder man wartet auf das Eintreffen eines Skidoos, was durchaus einen ganzen Tag dauern kann. Doch an den Ernstfall denkt hier niemand, alle sind fokussiert auf die heutige Etappe. Krossvatn ist knapp 20 Kilometer entfernt, dazwischen liegt eine weiße Mondlandschaft aus Hügeln, Felsen und zugefrorene Seen.
Im Vorfeld wurden die Routen bereits minutiös geplant, Alternativen gesucht und Gefahrenstellen ausfindig gemacht. Jetzt kommt es darauf an, wie gut die Planung tatsächlich war. Mit Karte und Kompass wandert die Gruppe los in Richtung der Marschzahl auf der Windrose. Mit den extrem dünnen Backcountry-Skiern an den Füßen sind sowohl Abfahrt als auch Aufstieg möglich. Diese besondere Art des Skis ist einem klassischen Langlauf-Ski sehr ähnlich. Die Bindung hält nur die Fußspitze am Ski, was sogenannte Geh- und Gleitphasen erlaubt. Auf den Unterseiten der Skier, auf Höhe der Füße, befinden sich mit Schuppen versehene Steigzonen, die für den Aufstieg notwendig sind.
Backcountry-Ski vs. Langlaufski
Durch den lockeren Sitz in der Bindung sind die Abfahrten keineswegs der leichteste Teil der Tour. Die Haltung ist wackelig, Kurven sind nahezu unmöglich und der schwere Rucksack sorgt für den Rest. Die Wenigsten schaffen das erste Stück zum See hinunter ohne Sturz. „Die Landung ist ja weich, das Verletzungsrisiko nur gering“, mit diesem Motto geht es bergab. Der See ist zugefroren, das Eis ist dick genug, um es zu überqueren. Ein gutes Zeichen, denn es ermöglicht den direkten Weg statt dem hügeligen Umweg am Ufer entlang.
In Zweierreihen bahnt sich die Gruppe ihren Weg über das Eis. Die beiden Vorderläufer müssen spuren, was besonders kräftezehrend ist. Die Sicht ist immer noch gen Null, jedwede Planung zwecks Wiedererkennung von Geländeformationen auf der Karte ist nun hinfällig. Glücklicherweise ist die Route teilweise abgesteckt, sodass man sich immerhin ein Stück weit orientieren kann. Der See ist schnell überquert. Die Ebene ist ideal um Strecke zu machen, etwa vier Kilometer in einer Stunde. Ganz anders beim Aufstieg. Wird es steiler, sind Spitzkehren gefragt. Im Zickzack geht es die Hügel hinauf, das wiederum kostet Zeit. Doch niemand ist in Eile.
Sonnenschein als größter Motivator
Es klart ein wenig auf und auch die Gemütslage in der Gruppe verbessert sich „Wenn sich die Leute beim Laufen unterhalten, ist das Tempo gut“, weiß Gruppenleiterin Mirjam. Andersherum gilt: Sobald Schneebälle fliegen, läuft man zu langsam.
Endlich schaut auch die Sonne vorbei, das erste Mal seit drei Tagen. Die oberste Kleidungsschicht wird eingepackt und die Skigoggles gegen Sonnenbrillen ausgetauscht. Sonnencreme ist Pflicht, egal bei welchem Wetter. Einige nutzen die kurze Pause, um einen Schluck gesüßten Tee zu trinken – eine wahre Wohltat für Körper und Geist. Wer den Blick hebt wird reichlich belohnt. Eine atemberaubende Landschaft erstreckt sich bis zum Horizont. Ein monströser Monolith sticht zur Rechten unter einer dicken Wolkendecke hervor. Darunter ein mit Eis bedeckter See, aus dem ringsherum steile Felswände emporragen. Die Route führt mitten durch dieses Gelände – ein beeindruckendes Gefühl. Doch um den See zu erreichen, geht es steil bergab. Jetzt hat man zwei Möglichkeiten: Schuss runter und hoffen, dass man nicht stürzt, oder gebremst im Schneepflug durch den Tiefschnee, was ebenso häufig zu Stürzen führt. Für diejenigen, die schon unten angekommen sind, ein wahres Schauspiel. Einer der Teilnehmer hat alle Regeln des Skifahrens über Bord geworfen und rast mit weit ausgestreckten Gliedmaßen hinunter. Im ersten Augenblick scheint es als könne er sich halten und man hört noch ein freudiges „Yippie“, doch schon im nächsten Moment purzelt er den Hang hinab, begleitet vom schallenden Gelächter der gesamten Gruppe.
Teamwork hat höchste Priorität
Sobald das Nachtlager erreicht ist, geht jeder einer Aufgabe nach. Wasser muss geholt, der Ofen angefeuert und das Essen zubereitet werden. Heute müssen zusätzlich der Eingang zum Plumpsklo vom Schnee freigeschaufelt und die Skier gewachst werden. Es gibt keine festgelegte Verteilung für diese Dienste, das Team hat sich eingespielt und alles läuft reibungslos ab. Jeder hilft, wo er kann. Erst wenn alles erledigt ist, kann in Ruhe zu Abend gegessen werden.
Inzwischen ist es dunkel und Licht kommt lediglich von einem Dutzend Kerzen. Nach zehn Stunden in der Natur ist der Hunger entsprechend groß. Es gibt Spaghetti mit Pilzsauce, jeder isst mindestens zwei große Portionen. Erst nach der Besprechung des nächsten Tages ist Feierabend. Für viele bedeutet das, nur noch kraftlos ins Bett zu fallen, andere spielen noch Karten oder wagen sich nach draußen, um den überwältigenden Sternenhimmel anzuschauen. „So viele Sterne habe ich in meinem Leben noch nicht gesehen“, staunt jemand. Langsam jedoch erlöschen die letzten Kerzen und in der Hütte kehrt endgültig Ruhe ein, in der Hoffnung auf blauen Himmel und einen weiteren aufregenden Tag im norwegischen Hinterland.
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